Liebe zeitkritische Geister in kritischer Zeit,
in meinem Newsletter „Drusen“ vom 06.08.2015 brachte ich einige Infos zum Thema „Drusen“. Nun schickte mir ein Freund den Bericht von einer Studienreise durch Israel, den er vor mittlerweile 10 Jahren zusammen mit Mitgliedern einer Menschenrechtsorganisation unternommen hatte. Wenn auch der Bericht schon etwas älter ist, so gibt er sicherlich doch die Situation der christlichen Minderheit unter Drusen wieder, wie sie auch heute noch beschrieben werden könnte.
Man bedenke bitte, dass dieser Bericht nicht die Situation in einem umkämpften Gebiet im Irak usw. beschreibt, wo vielleicht die Nerven zwischen den Minderheiten blank liegen. Nein! Vielmehr geht es um die Situation der Christen unter drusischer Mehrheit in der Nähe des Sees Genezareth. Ich bin sehr dankbar für diesen Bericht, da er meinen Newsletter deutlich ergänzt.
Ich habe alle Namen und Orte mit XY anonymisiert. Die Mitglieder der Reisegruppe sind mir übrigens alle persönlich bekannt.
Aus den Aufzeichnungen meines Freundes:
Für den Nachmittag [Mo., 2. Mai 2005] war ein Besuch bei dem holländischen Einsiedler XY vorgesehen. Es verlautete, dass die Begegnung mit ihm nicht zustande kommen könne. Deswegen besucht die Reisegruppe den Pfarrer der christlich-melkitischen, mit dem Apostolischen Stuhl unierten Kirche in der Stadt XY, in der Nähe des Sees Gennesaret. Als wir in den Ort kommen, stehen vielen Jugendliche und Männer in Gruppen zusammen stehen. Einige im Bus machen auf ausgebrannte Geschäfte aufmerksam. Der Busfahrer wendet nach etwa 500 m und fährt zurück.
Fast am Ende der Stadt hält der Fahrer den Bus vor einem mit einer hohen Mauer versehenen Pfarrzentrum mit Kirche an. Rechts neben dem Pfarrzentrum steht ein Polizeifahrzeug mit einigen Polizisten.
Es liegt Spannung in der Luft. Im Innenhof des Pfarrzentrums herrscht so etwas wie hektische Betriebsamkeit. Immer wieder geht jemand zum großen Tor und schaut auf die Straße.
Wir werden von Pfarrer XY, erkennbar an seiner Soutane, in den Gemeindesaal gebeten. Bevor er sich uns zuwenden kann, wird er nochmals hinaus gebeten. Kaum ist er wieder zurück, kommt ein arabisch gekleideter älterer Mann herein, mustert uns und spricht an der Tür mit dem Pfarrer. Später erklärt uns der Pfarrer, es handele sich zwar um einen freundlichen Mann, aber er diene den Drusen als Spion. Seine Aufgabe sei es wohl gewesen, zu erkunden, wer wir denn seien. Zur Zeit sehe es ganz danach aus als wenn die Drusen die Polizisten und die Polizeistation attackieren wollten.
Nachdem uns Getränke serviert worden sind, berichtet XY, er sei seit 28 Jahren Pfarrer in XY und zuständig für insgesamt vier Dörfer. Er habe es sich zur Aufgabe gemacht, immer wieder Kontakte zu den drusischen Mitbürgern herzustellen und zu halten. So habe er sich zu Beginn seiner Tätigkeit beim Chef der Drusen vorgestellt, um ihn kennen zu lernen. Er gehe immer, wenn er von einem Trauerfall erfahre, zum Kondolieren, denn die Beerdigung finde bekanntlich am Sterbetag statt und daran schließe sich eine Woche für Kondolenzbesuche an. Wenn er zum Krankenhaus gehe, besuche er zuerst die drusischen Mitbürger, danach die erkrankten Christen. Er handle nach dem Motto: Wir leben im selben Dorf, trinken das gleiche Wasser, atmen die gleiche Luft.
Dennoch seien die Christen immer wieder die Opfer der Verlierer – victims of the losers. Das Leben als christliche Minderheit in einer anderen Minderheit sei ein Martyrium.
Immer wieder gebe es Übergriffe. Wenn beim Zank unter Kindern das christliche Kind die Oberhand behalte, sei damit zu rechnen, dass nachts drusische Familienmitglieder die „Niederlage“ ihres Kindes an der christlichen Familie zu rächen und deren Haus oder Wohnung oder Anderes zu beschädigen suchten.
Später ergänzt ein Mann, der als Rechtsanwalt bezeichnet wird und ein Mitglied der christlichen Gemeinde ist, dass christliche Kinder immer wieder gezwungen würden, ihren drusischen Schulkameraden die Schultaschen zu tragen. Das habe auch er schon vor 15 Jahren tun müssen und auch sein Vater schon vor 50 Jahren.
Der Pfarrer ergänzt, er habe vorhin erfahren, dass ca. 35 drusische Schulkinder 5 Schulkinder seiner Gemeinde aus nichtigem Anlass geschlagen hätten.
Immer mal wieder gingen Gruppen von Jugendlichen durch Geschäfte von Christen und bedienten sich, ohne die Waren zu bezahlen.
Der Pfarrer berichtet weiter: In XY gehöre es zu den ungeschriebenen Gesetzen, dass immer ein Druse Bürgermeister werde. Die Christen in XY gäben ihre Stimme gewöhnlich dem Kandidaten, von dem sie den größten Schutz für sich erhofften. Die Folge sei, dass anschließend die Verlierer auf die Christen sauer seien und es ihnen durch Krawalle heim zu zahlen suchten. Deswegen verschlössen die Christen nach jeder Wahl ihre Häuser besonders gut.
Wie sehr die Christen in XY diskriminiert würden könne man auch daran sehen, dass kein einziger Christ, obschon der Anteil der Christen an der Einwohnerschaft 23 % betrage, Leiter einer der 13 Schulen von XY sei und auch kein Christ stellvertretender Direktor. Von den 460 Mitarbeitern der Stadtverwaltung seien nur drei Christen. Was das für die Christen in XY in einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit bedeute, sei ja wohl klar.
In XY sei es auch 1980 zu größeren Übergriffen gekommen, aber es seien keine Häuser und Autos angezündet worden wie im Februar dieses Jahres. Viele Christen seien 1980 nach den Krawallen geflohen. Ein Protestschreiben an die drusischen Autoritäten habe die christliche Gemeinde mehrheitlich abgelehnt, weil sie befürchtet habe, dass dann alles nur noch schlimmer werde.
Dass es trotz seiner jahrelangen Bemühungen um gute mitbürgerliche Beziehungen dennoch zu den Ausschreitungen vom 10. bis 13. Februar 2005 gekommen sei, sei für ihn, XY, nach wie vor unfassbar.
Anlass für das Pogrom im Februar dieses Jahres: Ein drusischer Jugendlicher habe behauptet, christliche Jugendliche hätten auf den Körper einer nackten Frau den Kopf eines drusischen Mädchens montiert und das Konstrukt im Internet veröffentlicht. Allein auf Grund dieser Behauptung sei es vom 10. bis zum 13. Februar 2005 zu heftigen Übergriffen drusischer Jugendlicher und Männer gekommen. Geschäfte und Privathäuser, Apotheke und Einkaufszentrum und Autos von Christen seien angezündet worden und es habe Schlägereien gegeben. Man habe ins Pfarrzentrum und in die Kirche einzudringen versucht, ebenso auch ins Schwesternheim. An der Straßenseite der Kirche, seien alle Kirchenfenster eingeworfen worden. Flaschen und Steine seien auch auf den Kindergarten geworfen worden.
Der Rechtsanwalt präzisiert: Um Mitternacht zum 10. Februar 2005 hätten mehrere hundert drusische Jugendliche damit begonnen, Autos von Christen aufzubrechen; ein Auto sei angezündet worden. Steine seien auf Häuser von Christen geworfen worden, in Geschäfte von Christen sei eingebrochen und es sei geplündert worden.
Am 11. Februar 2005 seien die Krawalle noch verstärkt worden. Nunmehr hätten etwa 2.000 Drusen aller Altersgruppen Christen angegriffen, weitere Geschäfte und Häuser angezündet, Supermärkte und Apotheke geplündert und erneut in die Kirche einzubrechen gesucht. Die Krawalle seien am Samstag, dem 12. Februar 2005 am helllichten Tag unter den Augen der Polizei von etwa 1.500 Personen fortgesetzt worden, ohne dass die Polizei eingegriffen hätte. Insgesamt hätten die Zerstörungen vier Tage lang gedauert. In der Nacht zum Montag (13. auf 14. Februar 2005) habe ein Drusen-Scheich noch mit einem Mikrofon dazu aufgerufen, die Christen wie Hühner zu schlachten.
Auf Bitte der Christen sei die Zahl der Polizisten zwar von 3 auf 30 erhöht worden und nach weiteren Krawallen auf 100 aufgestockt worden, aber am Samstagabend seien einige Polizisten bereits wieder abgezogen worden.
Drusen hätten die Feuerwehr daran gehindert, die Brände zu löschen.
In den Tagen vom 10. bis 13. Februar 2005 seien 45 Häuser beschädigt worden, 10 davon seien ausgebrannt und unbrauchbar geworden, 10 weitere, stark beschädigte Häuser, seien reparierbar. Auch auf sein Haus seien Steine geflogen.
Aber nicht nur Häuser seien beschädigt worden, sondern auch viele Außenanlagen.
151 Autos seien aufgebrochen und mehrere angezündet worden. In der Nacht zum Sonntag habe man auf dem Nachbargrundstück zum Gemeindezentrum um 1.40 Uhr eine Bombe entdeckt.
Die Vertreter der Drusen hätten verlangt, alle Häuser von Christen sollten mit einer weißen Fahne versehen werden.
Etwa 450 Christen seien zu Verwandten geflüchtet; 60 Schülerinnen und Schüler gingen nun außerhalb XY zur Schule. Der Rechtsanwalt: Auch er sei damals schließlich auswärts zur Schule gegangen. Andernfalls wäre er wohl auch täglich geschlagen worden.
Der Pfarrer erklärt, die christliche Gemeinde sei sehr an einer eigenen Schule interessiert, denn es gebe ca. 1.000 christliche Schülerinnen und Schüler. Aber es fehle an den erforderlichen Mitteln. Die Schule müsse nämlich vom Kindergarten bis zum Abitur alle Ausbildungszweige umfassen. Von den Christen in XY zählten etwa 90 % zur Mittelschicht, man sei also nicht finanzkräftig genug, um die Kosten für den Bau einer Schule allein zu schultern.
Die Polizei habe später den drusischen Jugendlichen, der die Geschichte von der Fotomontage erzählt habe, ausfindig gemacht und seinen PC beschlagnahmt. Die Polizei habe das angebliche Foto nicht gefunden. Der Jugendliche habe schließlich zugegeben, dass alles gelogen sei. Der Jugendliche habe erklärt, er habe sich in einem Internet-Chat über eine Bemerkung über Drusen geärgert und deswegen die Geschichte von der Fotomontage erzählt.
Trotz dieser Fakten sei die christliche Gemeinde von drusischen Autoritäten in der Stadt aufgefordert worden, sich für die Fotomontage zu entschuldigen.
Man habe weiter verlangt, dass alle christlichen Geschäfte abends um 20 Uhr zu schließen hätten. In zwei Flugblättern heiße es, wer sich nicht daran halte, werde erschossen. Ihm, dem Pfarrer werde mitgeteilt: „Wenn wir jemanden töten, darfst Du ihn hier nicht beerdigen.“ Falls er doch einen Getöteten in XY beerdigen sollte, müsse er mit dem Tod rechnen.
XY legt zwei Flugblätter auf den Tisch, in dem die Drohungen stehen. Sie werden fotografiert. Lesen kann sie von uns niemand, weil sie in arabisch geschrieben sind.
Man habe eine Abordnung zur Knesseth geschickt.
Nach dem Abflauen der Krawalle seien der Polizeiminister, der Innenminister und ein Knesseth-Abgeordneter nach XY gekommen und hätten sich die Schäden angesehen. Der Knesseth-Abgeordnete habe gesagt, in XY habe ja ein Pogrom stattgefunden, eine Intifada gegen die Christen. Der Innenminister aber habe gemeint, die Auseinandersetzung gehe den Staat nichts an: „Wir sind nicht Teil des Konflikts.“
Man habe ihnen 13 Mio. Neue Schekel für den Wiederaufbau versprochen, aber bis heute sei noch kein einziger Schekel gezahlt worden.
Die Polizei reagiere nicht auf Beschwerden. In XY gebe es täglich Rassismus. Das Leben für die Christen in XY sei so schwarz wie sein Gewand, so Pfarrer XY.
Pfarrer XY berichtet, nun sei in XY ein neue, größere Polizeipräsenz geplant. Die Drusen seien dagegen und deswegen herrsche derzeit wieder eine explosive Stimmung. Die Drusen verlangten nämlich, dass sie die Polizeistation mit ihren Leuten besetzen könne. Pfarrer XY befürchtet, dass es heute Abend, wenn ein Teil der Polizisten Feierabend habe, erneut zu Krawallen komme.
Lobend erwähnt XY, dass sich der Apostolische Nuntius um die schwierige Situation der Christen in XY gekümmert habe. Von seinem Oberen, dem Administrator aber, einem Bischof aus dem Libanon, fühle er sich allein gelassen. Der Administrator wolle seine Ruhe haben und sich seine Taschen füllen. Bei diesen Worten greift XY mit seiner Rechten an seine Hosentasche und schüttelt den Stoff seiner Soutane an der Stelle, an der offenbar seine Geldbörse steckt.
Pfarrer XY vermutet, dass die Krawalle gegen die Christen auch aus Neid gegen das rege christliche Gemeindeleben erfolgt sind. Es gebe bei ihnen in der Gemeinde vielfältige Aktivitäten; sie hätten auch einen Judoclub. Jede Woche kämen etwa 1.100 Kinder und Jugendliche zu ihnen. In der Stadt selbst aber gebe es kein Schwimmbad, kein Kino, keine Einrichtungen für Jugendliche.
Es gebe zwei Gruppen von Drusen: Wissende und Unwissende. Nur etwa 10 % der Drusen und die sog. Ältesten seien religionskundig. Ethik gehöre zur Mangelware. Die Erziehung finde auf der Straße statt, und die sei grausam, weil vom Gesetz der Straße diktiert, sowie beim Militär.
Während sonst schon mal zu beobachten gewesen sei, dass religiöse Drusen die Gewalt gegen die christlichen Mitbürger zu stoppen gesucht hätten, sei im Februar 2005 nichts davon zu bemerken gewesen. Er habe diese Drusen später gefragt: Freunde, wo wart ihr? Man habe ihm geantwortet, sie seien unter Druck gesetzt worden.
Drusen aus den umliegenden Dörfern seien ärgerlich gewesen über die Drusen in XY und hätten ihm, XY, ihre Anteilnahme ausgedrückt.
Die antichristliche Stimmung der Drusen gegen ihre christlichen Mitbürger zeigt sich auch an einem weiteren Vorfall. XY berichtet, er habe vor einiger Zeit ein neues Tor zum Pfarrzentrum benötigt und einen drusischen Handwerker damit beauftragt. Auf dem Tor sei auch ein Kreuz angebracht gewesen. Nachdem das Tor eingebaut gewesen sei, sei das Kreuz nachts immer wieder beschmiert worden oder es seien Bierflaschen darauf geworfen worden. Er habe sich schließlich veranlasst gesehen, das Kreuz abmontieren zu lassen.
Leider hat wohl niemand das Tor fotografiert.
XY fordert, dass der Staat Israel seine christlichen Mitbürger schützt. Von Herrn XY gefragt, was wir für ihn und seine Gemeinde tun könnten, antwortet er: Wir sollten anderen von den Vorkommnissen in XY berichten, für die Christen hier beten und das Schulprojekt unterstützen.
Als Herr XY ihn fragt, ob wir ggf. einen Protest an die israelische Regierung schicken sollten, ist er sofort einverstanden. Offenbar hat er an diese Möglichkeit noch nicht gedacht.
Zum Abschluss des Gesprächs gehen wir noch in die Kirche.
Als wir schließlich XY verlassen und zum Pilgerhaus am See Gennesaret zurückfahren, geschieht es mit dem unguten Gefühl, dass es in der kommenden Nacht wieder Krawalle gegen die christliche Gemeinde geben kann.
Frau XY drängt darauf, dass wir uns an die überörtliche Polizeistation wenden sollten, damit der Polizeischutz für die kommende Nacht verstärkt werde bzw. erhalten bleibe.
Die Herren XY nehmen sich dieser Aufgabe an. Sie berichten, es sei schwierig, heraus zu bekommen, welche Stelle zuständig sei.
Inzwischen ist es Abend geworden und niemand ist mehr telefonisch zu erreichen, auch nicht bei der deutschen Botschaft. Herr XY hinterlässt schließlich bei der deutschen Botschaft eine Nachricht mit der Bitte, sich wegen der brenzligen Situation in XY mit der zuständigen israelischen Stelle in Verbindung zu setzen. Später heißt es, in der Nacht sei es in XY ruhig geblieben. Möglicher Weise hat unser Besuch dazu beigetragen, bestimmte drusischen Gemüter etwas abzukühlen. Denn wer will schon gern seine kriminellen Handlungen im Ausland publik gemacht sehen?!
Ende der Aufzeichnungen meines Freundes.
Mit freundlichem Gruß
Wilfried Puhl-Schmidt